Unauthorisierte Uebersetzung des Artikels von Jonathan Chait im Intelligencer, 20.2.2021
Im Jahr 2018 wurde ich entweder berühmt oder — je nach Standpunkt — berüchtigt, weil ich einen Artikel schrieb, in welchem ich spekulierte, daß Rußland heimliche Druckmittel gegen Trump hatte (was sich als richtig herausstellte). Die umstrittenste Behauptung des Artikels war, daß es plausibel, wenn auch nicht gewiß, sei, daß Rußlands Einfluß auf Trump sogar bis ins Jahr 1987 zurückreichen könnte.
Hier ist, was ich in diesem kontroversen Abschnitt schrieb:
Während der Sowjetzeit warf der russische Geheimdienst ein weites Netz aus, um Einfluß auf einflußreiche Persönlichkeiten im Ausland zu nehmen. (Die Praxis dauert bis heute an.) Die Russen lockten oder fingen nicht nur prominente Politiker und Kulturschaffende ein, sondern auch Leute, von denen sie annahmen, daß sie das Potential hatten, in der Zukunft an Bedeutung zu gewinnen. 1986 traf der sowjetische Botschafter Yuri Dubinin Trump in New York, schmeichelte ihm mit Komplimenten über seine Bautätigkeit und lud ihn ein, über ein Gebäude in Moskau zu sprechen. Trump besuchte Moskau im Juli 1987. Er übernachtete im National Hotel, in der Lenin-Suite, die sicherlich verwanzt war. Es gibt in den öffentlichen Aufzeichnungen nicht viel mehr über seinen Besuch, außer der eigenen Erinnerung von Trump in The Art of the Deal, daß sowjetische Beamte darauf erpicht waren, daß er dort ein Hotel bauen sollte. (Es ist nie passiert.)
Trump kehrte aus Moskau zurück, befeuert von politischen Ambitionen. Er begann den ersten einer langen Reihe von Flirts mit der Präsidentschaftskandidatur, zu denen auch eine auffällige Reise nach New Hampshire gehörte. Zwei Monate nach seinem Moskau-Besuch gab Trump fast 100.000 Dollar für eine Reihe ganzseitiger Zeitungsanzeigen aus, die ein politisches Manifest veröffentlichten. „Ein offener Brief von Donald J. Trump darüber, warum Amerika aufhören sollte, für die Verteidigung von Ländern zu zahlen, die es sich selbst leisten können, sich zu verteidigen”, wie Trump es betitelte, erhob wütende populistische Vorwürfe gegen die Verbündeten, die vom Schutzschirm des amerikanischen Militärs profitierten. „Warum bezahlen diese Nationen die Vereinigten Staaten nicht für die Menschenleben und Milliarden von Dollar, die wir verlieren, um ihre Interessen zu schützen?”
Ich räumte ein, daß es wahrscheinlich nur ein Zufall war, daß Trump von seiner Reise nach Rußland zurückkam und anfing, Themen auszusprechen, die zufällig eng mit dem geopolitischen Ziel Rußlands, die Vereinigten Staaten von ihren Verbündeten zu spalten, zusammenpaßten. Aber es gab eine begründete Chance — ich schätzte sie locker auf 10 oder 20 Prozent — daß die Sowjets einige dieser Gedanken, die er vor der Reise nie geäußert hatte, in seinen Kopf gepflanzt hatten.
Wenn ich heute raten müßte, würde ich die Wahrscheinlichkeit höher einschätzen, vielleicht auf über 50 Prozent. Ein Grund für meine höhere Einschätzung ist, daß Trump das Mißtrauen weiter geschürt hat, indem er auffällig pro-russische Positionen eingenommen hat. Er traf sich mit Putin in Helsinki, wobei er seltsam unterwürfig wirkte, und gab Putins Propaganda zu einer Reihe von Themen wieder, darunter die lächerliche Vorstellung einer gemeinsamen russisch-amerikanischen Cybersicherheitseinheit. (Natürlich hat Rußland vor nicht allzu langer Zeit den schwersten Cyber-Hack in der amerikanischen Geschichte begangen, was Trumps Idee im Nachhinein noch selbstzerstörerischer macht, als sie es damals war). Er schien alles daran zu setzen, amerikanische Verbündete zu entfremden und die Zusammenarbeit bei jedem Treffen während seiner Amtszeit zu sabotieren.
Entweder weigerte er sich, russisches Fehlverhalten zuzugeben — Trump weigerte sich sogar zuzugeben, daß das Regime Alexej Nawalny vergiftet hatte — oder er wiederholte bizarre Schnipsel russischer Propaganda: Die NATO sei ein schlechtes Geschäft für Amerika, weil Montenegro einen Angriff auf Rußland starten könnte; die Sowjets hätten in den 1970er Jahren in Afghanistan einmarschieren müssen, um sich gegen den Terrorismus zu verteidigen. Das waren keine Argumente, die er in seinem üblichen Tagesablauf, bei dem er Fox News schaut und republikanische Speichellecker anruft, aufschnappen würde.
Ein weiterer Grund ist, daß der Reporter Craig Unger einen ehemaligen KGB-Spion dazu brachte, offiziell zu bestätigen, daß der russische Geheimdienst seit Jahrzehnten mit Trump zusammenarbeitet. In seinem neuen Buch, „American Komprimat,” befragte Unger Yuri Shvets, der ihm sagte, daß der KGB Trump mit einfachen Schmeicheleien manipulierte. „In Bezug auf seine Persönlichkeit ist der Typ nicht gerade besonders ausgekocht”, sagte er, „seine wichtigsten Eigenschaften sind ein geringer Intellekt gepaart mit einer übersteigerten Eitelkeit. Das macht ihn zu einem Traum für einen erfahrenen Anwerber.”
Das ist ganz ähnlich zu dem, was ich in meinem Artikel vermutet habe:
Der russische Geheimdienst gewinnt Einfluß in fremden Ländern, indem er subtil und geduldig operiert. Er übt verschiedene Abstufungen von Druckmitteln auf verschiedene Arten von Menschen aus und verwendet ein grundlegendes Werkzeugset der Erpressung, das die Ausnutzung von Gier, Dummheit, Ego und sexuellem Appetit beinhaltet. All das sind Eigenschaften, die Trump im Überfluß hat.
Das ist genau das, was Geheimdienstexperten meinen, wenn sie Trump als einen russischen „Aktivposten” beschreiben. Das ist nicht dasselbe wie ein Agent zu sein. Ein Aktivposten ist jemand, der manipuliert werden kann, im Gegensatz zu jemandem, der bewußt und heimlich in Ihrem Auftrag arbeitet.
Shvets erzählte Unger, daß der KGB Trump als amerikanischen Anführer kultivierte und ihn überredete, seine Anzeige zu schalten, in welcher er amerikanische Allianzen angriff. „Die Anzeige wurde vom Direktorat für aktive Maßnahmen als eine der erfolgreichsten KGB-Operationen seiner Zeit bewertet,” sagte er, „Es war ein Riesending — drei große amerikanische Zeitungen veröffentlichen KGB-Soundbites.”
Um es deutlich zu sagen, obwohl Shvets eine glaubwürdige Quelle ist, ist sein Zeugnis nicht maßgebend. Es gibt viele mögliche Motive für einen ehemaligen sowjetischen Spion, der zum Kritiker des russischen Regimes wurde, eine Anklage gegen Trump zu erheben. Aber die Geschichte, die er erzählt, ist fast genau die Wahrscheinlichkeit, die ich umrissen habe. Und sie paßt ziemlich genau zu den bekannten Fakten wie der russische Geheimdienst arbeitet und was Trump getan hat.
Eine Sache, über welche ich meine Meinung geändert habe, seit mein Artikel erschien, ist der Effekt, welchen dies auf die amerikanische Öffentlichkeit haben würde, selbst wenn es bestätigt würde.
Es gibt einen Reiz des Geheimnisvollen, der bestimmten unbekannten Fakten eine übergroße Bedeutung verleiht. Die Aufdeckung der geheimen Identität von „Deep Throat” wurde als einer der größten Preise des Journalismus angesehen, bis der stellvertretende FBI-Direktor Mark Felt zugab, daß er es war, woraufhin sich kaum jemand dafür interessierte. Wäre die Leiche von Jimmy Hoffa kurz nach seinem Verschwinden aufgetaucht, wäre ihr Aufenthaltsort fast sofort vergessen worden, anstatt Gegenstand jahrzehntelanger Spekulationen und Untersuchungen zu werden.
Die Art und die Ursprünge von Donald Trumps Beziehung zu Rußland fallen wahrscheinlich in diese Kategorie. Die ganze Geschichte wird wahrscheinlich nie mit Sicherheit aufgeklärt werden. Es wurde vermutet, daß Robert Mueller ihr nachgeht, aber er hat sich von der Spionageabwehr ferngehalten, um sich mehr auf strafrechtliche Verstöße zu konzentrieren; der Geheimdienstausschuß des Senats hat verlockende Beweise für geheime Absprachen im Wahlkampf 2016 vorgelegt, hatte aber keinen Zugang zu Trumps innerem Kreis. Theoretisch könnten die Trump-Mitarbeiter, die geschwiegen haben, Paul Manafort und Roger Stone, oder ihre russischen Kontakte, wie Manaforts Partner Konstantin Kilimnik, schließlich eine Art Geständnis auf dem Sterbebett liefern, aber selbst das würde durch den grundsätzlichen Mangel an Glaubwürdigkeit der Quelle nicht beweiskräftig sein.
Wenn sich die düsterste plausible Geschichte als wahr herausstellen würde, was würde es dann ausmachen? Wahrscheinlich wenig. Verstehen Sie mich nicht falsch: Daß Rußland geheime Kanäle hat, um Einfluß auf einen amerikanischen Präsidenten zu nehmen, ist keineswegs gut. Ich bin nur zu der Ansicht gelangt, daß selbst wenn wir das Schlimmste hätten bestätigen können, bis zu dem Punkt, daß selbst Trumps Unterstützer es nicht mehr leugnen könnten, würde es nicht sehr viel ändern. Trump würde nicht zum Rücktritt gezwungen worden sein, und seine republikanischen Unterstützer müßten sich nicht von ihm distanzieren. Die Kontroverse wäre einfach in der riesigen Landschaft der parteipolitischen Gesprächsthemen untergegangen — eine weitere Sache, über welche die Liberalen Trump verspotten, und die Konservativen beschweren sich über die Medien, weil sie darüber berichten, anstatt über Nancy Pelosis Gefrierschrank oder die Antifa oder den neuesten Skandal auf dem Campus.
Ich denke das auch deshalb, weil sehr viele belastende Informationen bestätigt wurden und sich dadurch faktisch wenig geändert hat. Im Jahr 2018 berichtete Buzzfeed über brisante Details einer russischen Kompromat-Operation, und im darauffolgenden Jahr bestätigte es Robert Mueller. Während des Wahlkampfs hatte Rußland mit einem Moskauer Gebäudedeal gewedelt, der Trump ohne Risiko Hunderte von Millionen Dollar Gewinn einbringen würde. Nicht nur, daß er bereit war, diesen Geldsegen zu erlangen, er log zu dieser Zeit auch öffentlich über seine Geschäfte mit Rußland, was Wladimir Putin zusätzlichen Einfluß auf ihn gab. (Rußland konnte Trumps Lügen jederzeit aufdecken, wenn er etwas tat, was Moskau mißfiel.)
Mueller sagte sogar aus, daß dieses Arrangement Rußland ein erpresserisches Druckmittel gegen Trump gab. Aber zu dem Zeitpunkt, als diese Fakten aus dem Reich der Vermutungen in das Reich der bestätigten Tatsachen übergegangen waren, waren sie uninteressant geworden.
Wir wissen nicht, welche anderen Einflußquellen Rußland hatte, oder wie weit zurück es ging. Letztendlich wurde jeder Wert, den Trump für Rußland bot, durch seine Inkompetenz und seine begrenzte Fähigkeit, selbst die Außenpolitik seiner eigenen Regierung fest im Griff zu haben, beeinträchtigt. Es war nicht nur der sagenumwobene „tiefe Staat”, der Trump unterminierte. Sogar seine eigenen handverlesenen Amtsinhaber unterminierten ihn ständig, insbesondere in Bezug auf Rußland. Welchen Einfluß Putin auch immer hatte, war auf eine einzige Person beschränkt, was bedeutete, daß Trump niemanden finden konnte, der das Außenministerium, die Nationale Sicherheitsbehörde und so weiter leitete, der seine idiosynkratische Russophilie teilte.
Die Wahrheit, so vermute ich, war gleichzeitig ungefähr so schlimm, wie ich vermutet hatte, und paradoxerweise gleichzeitig enttäuschend. Trump war von allen möglichen widerlichen Charakteren umgeben, die ihn manipulierten, Dinge zu sagen und zu tun, die dem nationalen Interesse zuwiderliefen. Einer dieser Charaktere war Putin. Am Ende stieß ihr Einfluß an die Grenzen, daß die Figur, über die sie Einfluß gewonnen hatten, ein schwacher, gescheiterter Präsident war.