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Die verrückten Zahlenspiele der NATO

Es gab tatsäch­lich eine Zeit vor dem 11. September, da war Afgha­ni­stan noch nicht Tagesthema.

Presse-Infor­ma­tion Nr. 12529. August 2001

Von Jan Oberg, Leiter der TFFÜber­setzt am 29.8.01 von Kai Hackemesser

Mazedonien in der NATO — die NATO in Mazedonien

Die Regie­renden Maze­do­niens behaupten offiziell und sukzes­sive, daß das Land ein Mitglied der NATO werden muß. Maze­do­nien strebt eine NATO-Mitglied­schaft an. Da jedoch Maze­do­nien noch nicht „reif genug” ist, um der NATO beizu­treten, wird die NATO eben in Maze­do­nien sein.

Maze­do­nien hatte keine unab­hän­gige nationale Sicher­heits­kom­mis­sion (oder durfte keine haben), welche verschie­dene zukünf­tige Optionen für das Land hätte unter­su­chen können. Die NATO-Mitglied­schaft ist die einzige Idee in Skopje. Wenn es skep­ti­sche Sicher­heits­ex­perten und Vertei­di­gungs-Intel­lek­tu­elle gibt, scheinen sie nichts dazu zu sagen. Die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen vor Ort sind unter­schied­lich enthu­si­as­tisch; jedoch haben Frie­dens­gruppen, Frau­en­ver­ei­ni­gungen usw., welche nicht nur skeptisch sondern geradezu völlig dagegen sind, kaum einen Einfluß. Was die NATO-Mitglied­schaft sagen wir in den nächsten zwanzig Jahren an Geld kosten wird, wurde nicht analy­siert, es ist keine Rede von einer Volks­ab­stim­mung — dafür aber natürlich jede Menge über Demokratie.

Wie man heut­zu­tage in den entste­henden „Demo­kra­tien” in Osteuropa zu sagen pflegt: Worüber soll man disku­tieren? Es ist doch bereits alles fest­ge­legt, wir habe doch keine Wahl! Man sagt uns, wenn wir uns nicht ranhalten, werden sich uns andere Türen ebenfalls verschließen.

So ist die NATO-Mitglied­schaft für Maze­do­nien das Geschenk eines Paten, das man nicht ablehnen kann. Dasselbe gilt natürlich auch für den Einsatz der NATO-Waffen­ein­sammler dieser Tage. Es ist ein großes Spektakel, aber die NATO wird die KLA/UCK/ONA/ANA oder was immer für eine Abkürzung wir für die mili­ta­ris­ti­schen alba­ni­schen Natio­na­listen verwenden, die angeblich und irrtüm­lich mit Waffen für mehr Rechte kämpfen, nicht entwaffnen.

Das klägliche Versagen der NATO/KFOR als Entwaffner im Kosovo

Als ich vor wenigen Wochen in Maze­do­nien war, erhielt ich eine Kopie von etwas, was man „Plan des Präsi­denten” nannte — offiziell „Plan und Programm zur Bewäl­ti­gung der Krise in der Republik Maze­do­nien.” Das erst­ge­nannte Ziel auf Seite 1 ist, „Die Terro­risten voll­ständig zu entwaffnen und aufzu­lösen”, wie man die alba­ni­sche KLA/NLA nennt.

Also ging es um „Entwaff­nung”, und nicht, wie man es nun nennt, eine „Einsamm­lung” von Waffen. Das ist ein himmel­weiter Unterschied.

Wir brauchen nur noch ein wenig warten, bis sich die „Entwaff­nung” in Maze­do­nien wieder­holt. Die dreissig Tage, welche längst von den gehal­tenen inter­na­tio­nalen Medien- und Pres­se­kon­fe­renzen verbreitet worden, „die NATO ist zufrieden und opti­mis­tisch”, was die alba­ni­schen Ablie­fe­rungen angeht. Das ist pure Öffent­lich­keits­pro­pa­ganda! Und zwar, weil:

Im Herbst 1999 erklärte Michael Jackson (nicht der Popstar, sondern der NATO-General, der den Kosovo überrollt hat), daß die mächtigen KFOR/NATO-Kräfte nicht nur alle Jugo­sla­wi­schen Streit­kräfte aus dem Kosovo verdrängt, sondern auch die KLA entwaffnet hätten, welche aus mindes­tens 20.000 Mann unter Waffen bestand. Dies war nur natürlich, da die Reso­lu­tion des UN-Sicher­heits­rates Nummer 1244 bestimmt: „15. fordert, daß die KLA und andere bewaff­nete Kosovo-Alba­ni­sche Gruppen sofort alle offen­siven Hand­lungen einstellen und den Bedin­gungen für die Demi­li­ta­ri­sie­rung entspre­chen, wie vom Leiter der Inter­na­tio­nalen Sicher­heit (inter­na­tional security presence) in der Beratung mit dem Sonder­be­voll­mäch­tigten des Gene­ral­se­kre­tärs dargelegt;”

Die inter­na­tio­nalen Anführer im Kosovo einschließ­lich der obersten Behörde und dann dem Leiter der UN-Mission Dr. Kouchner erklärten, daß die KLA entwaffnet und ihre Insignien und Uniformen verboten seien; die Orga­ni­sa­tion wurde als illegal betrachtet. Er hatte es auch geschafft, die KLA-Führer zu überreden, frei­willig die Uniformen zu wechseln und zur völlig zivilen KPC umge­wan­delt zu werden, dem Kosovo-Protection-Corps.

Das KPC würde unter der Leitung von Agim Ceku operieren, vermut­lich auf der UN-Lohnliste. Er sagte mir in einem Interview letztes Jahr, daß er ein leitender Offizier in der Kroa­ti­schen Armee war, aber 1995 gegangen ist, nachdem diese 250.000 kora­ti­sche Bürger serbi­scher Natio­na­lität vertrieben hat. Er hat, wie er es ausdrückt, der UCK/KLA „geholfen”, seit diese 1992/93 gegründet wurde.

Es gibt also drei Möglich­keiten. A) Die KLA wurde niemals entwaffnet und die Aussagen hierzu waren eine kris­tall­klare Irre­füh­rung der inter­na­tio­nalen Öffent­lich­keit, die annahm, ihre Steu­er­gelder würden für Frie­dens­bil­dung, Entwaff­nung und fried­liche Koexis­tenz im Kosovo einge­setzt. B) Die 46.000 schwer­be­waff­neten Soldaten der NATO/KFOR haben ihr bestes getan, um die KLA/UCK zu kontrol­lieren und zu entwaffnen, von welchen 5.000 die Uniform wech­selten und dem KPC beitraten, aber haben kläglich versagt. C) Die KLA/UCK wurde tatsäch­lich entwaffnet zu jener Zeit, aber dann mit oder ohne der Zustim­mung von NATO/KFOR und der UN wiederbewaffnet.

Wenn es eine Irre­füh­rung war, sollte die freie Presse unter­su­chen, warum wir alle getäuscht wurden. Wenn die NATO schlicht unfähig war, ist ihr Versagen im Kosovo größer als jede UN-Mission im Balkan. Wenn dem so ist, sollte es einen öffent­li­chen Aufschrei geben, und wir sollten dasselbe über die NATO hören wie über die UN: Daß sie teuer, unfähig und korrupt sei und nicht fähig, ihr Mandat zu erfüllen. Aber während die Medien und Kommen­ta­toren die Vereinten Nationen gerne denun­zieren, getrauen sich nur wenige einer Kritik der NATO. Als ob die NATO keine Fehler machen könnte.

Wir wissen heute, daß die UCK/KLA sich nach Südser­bien bewegt hat und von Basis­la­gern in der demi­li­ta­ri­sierten Zone zwischen Serbien und dem Kosovo ihren Krieg begann. Das bedeutet, daß sie den US-Sektor passiert hat. Wir wissen, daß es die UCK/KLA ist, die einseitig im Namen der UCK oder NLA (Nationale Befrei­ungs­armee) den Krieg in Maze­do­nien ange­fangen hat. Niemand, der entwaffnet und aufgelöst worden ist, kann zwei Aggres­sionen begehen; niemand, der nicht die Unter­stüt­zung der west­li­chen Regie­rungen hat und nach deren nationale und geostra­te­gi­sche Inter­essen handelt, würde mit so etwas davonkommen!

(In den Straßen von Pritina kann man UCK-Symbole und ‑Kenn­zei­chen kaufen, man kann Publi­ka­tionen mit der UCK auf der Titel­seite kaufen mit Listen der Serben, die sie getötet haben.)

Es ist stark anzu­nehmen, daß der UCK/NLA erlaubt wurde — falls man sie nicht sogar darin unter­stützt hat — zwei neue Kriegs­schau­plätze zu eröffnen. Es ist unvor­stellbar, daß die NATO, die welt­stärkste Allianz, und die UN als oberste Autorität im Kosovo nicht in der Lage gewesen seien, eine Streit­kraft wie die UCK zu kontrol­lieren, wenn sie die Absicht dazu gehabt hätten.

Kurz gesagt haben die NATO und einige iher Mitglieds­staaten keine Glaub­wür­dig­keit als Entwaffner. Ihre Ergeb­nisse in dieser Tätigkeit sind wirklich schlecht!

Die größte „Friedensstifter”-Mission aller Zeiten mit 46.000 viel stärker bewaff­neten Soldaten als die UN war nicht in der Lage, 10–15.000 KLA-Soldaten zu entwaffnen. Nur wirklich naive Menschen können annehmen, daß 3.500 oder 5.000 NATO-Soldaten in Maze­do­nien eine bessere Arbeit abgeben könnten. Also warum sind sie dort? Weil sie keine bessere Arbeit abliefern sollen!

Die NATO hat diemal nicht einmal die Absicht, die KLA/NLA zu entwaffnen, sie sammelt blos frei­willig durch KLA/NLA-Kämpfer abge­ge­bene Waffen ein, denen dann Amnestie gewährt wird! Fragen Sie sich selbst, wo ein solches Geschäft mit „bewaff­neten Verbre­chern” (NATO-Bezeich­nung für die KLA/NLA) zuvor geschlossen wurde, die bereits ansehn­liche Terri­to­rien eines souve­ränen, aner­kannten UN-Mitglieds­landes kontrollieren.

Deswei­teren haben Politiker der Länder, die „Essential Harvest” betreiben, ange­strebt, die Maze­do­ni­sche Regierung daran zu hindern, Waffen zu impor­tieren, und die maze­do­ni­sche Armee wurde aufge­for­dert, sich von ihren Stel­lungen zurückzuziehen.

Um es deutlich zu sagen: Dies bedeutet das Ende des Rechts zur Selbst­ver­tei­di­gung, des Respekts der terri­to­rialen Inte­grität eines souve­ränen, aner­kannten euro­päi­schen Staates und ein Ende der unpar­tei­ischen Vermitt­lung zwischen Konflikt­par­teien. Ich glaube, daß es auch ein Ende für ein stabiles und ziemlich fried­li­ches Maze­do­nien bedeutet.

Das Waffenzahl-Spiel und eine mögliche dänische Verbindung

Die offi­zi­elle Schätzung der maze­do­ni­schen Regierung zu der Zahl der Waffen der KLA/NLA beläuft sich auf 60 — 80.000. Die KLA/NLA sagen, sie haben 2.500. Nach zwei Tagen im Lande schließt die NATO ein neues, nicht verhan­del­bares Geschäft mit der KLA/NLA ab und verkündet, daß die Zahl der einzu­sam­melnden Waffen 3.500 sei und daß dies eine glaub­wür­dige Zahl sei, um Maze­do­nien auf den Weg zum frieden zu bringen.

Jane’s Defense Weekly vom 29. August, Nr. 9 nennt 2.500 NLA-Soldaten in Maze­do­nien und mindes­tens genauso viele nicht­kämp­fende Unter­stützer für Logistik usw. von denen vermut­lich alle Waffen besitzen. Sie fügt hinzu, daß es „ebenfalls Waffen in versteckten Lagern gibt. Manche davon wurden in den Nach­wir­kungen der Albanien-Krise 1997 erstanden, als schät­zungs­weise 575.000 kleine Waffen gestohlen wurden…” Und dann hat wohl jede Familie 1–2 Waffen durch das, was man Schüt­zen­kultur des Balkans nennt, „welche teilweise sehr stark unter den ethni­schen Albanern ist”.

Unter der Annahme, daß die Generäle der NATO kompetent seien, ist es schwer zu glauben, daß sie selbst irgend­etwas dessen glauben, was sie von sich geben. Aber die Zahl ist doch ein weiterer west­li­cher Schlag in das Gesicht der Regierung.

CNN berich­tete am 25. August 2001: „Der dänische General Gunnar Lange, NATO-Komman­dant in Skopje, gab die Waffen­zahl nicht bekannt, aber sagte, daß die Operation Essential Harvest bis zum Ende der nächsten Woche ein Drittel der Waffen der Rebellen in die Hand bekäme.”

Aha, der NATO-Komman­dant ist dänisch! Aber Dänemark hat keine Truppen für Essential Harvest bereit­ge­stellt? Nun, mein unan­ge­nehmer Verstand sagt mir, daß es dafür eine recht einfache Erklärung geben könnte:

Der Mann, der erfolg­reich Kouchner als höchster Autorität im Kosovo einsetzte, ist der frühere dänische Vertei­di­gungs­mi­nister, Hans Haekkerup. Unter seiner Leitung unter­stützte Dänemark nicht nur die NATO-Bombar­die­rungen in Jugo­sla­wien politisch und moralisch, sie haben auch Bomben abge­worfen. Er stand an der Spitze einer bedeu­tenden Akti­visten-Sicher­heits­po­litik und entwi­ckelte sehr gute Bezie­hungen zur Clinton-Regierung. Haekkerup hielt bis damals keine inter­na­tio­nalen Posi­tionen. Nun in Pritina konnte er unmöglich ohne Kenntnis der mili­tä­ri­schen Ange­le­gen­heit oder der Geschichte seiner Mission und ihrer Eintritts­karte in der Region Kosovo sein.

Das KLA/NLA-Problem in Maze­do­nien stammt über­wie­gend aus dem Kosovo, als die NATO aus prak­ti­schen Absichten zur Luftwaffe der KLA wurde. Es ist ein Überlauf der mißlun­genen UN/NATO-Mission dort, oder ein beab­sich­tigter Plan.

Was also könnte bequemer für den Leiter der UN-Mission sein als ein dänischer General, der es so aussehen lassen kann, als ob die KLA/NLA und ihr Überlauf nur kleinere Probleme seien? Ein dänischer General, der den Job in dreissig Tagen erledigen und die laufende UN/NATO-Verschleie­rung verdecken kann, die darauf abzielt, die alba­ni­schen Extre­misten zu unter­stützen — woran sein früherer Chef (Haekkup) nichts änderte, weil er, hätte er, höchst­war­schein­lich seinen Job verloren hätte?

Stellen Sie sich vor, daß 3.300 Waffen alles wären, was die KLA/NLA in Maze­do­nien besäßen. Warum um Himmels Willen sollten sie akzep­tieren, sich ihrer Vertei­di­gung für den Tag zu berauben, an dem die NATO vermut­lich abzieht?

Es ist wohl­be­kannt, daß das Innen­mi­nis­te­rium tausende Waffen (manche sagen 12.000) an Maze­do­nier ausge­hän­digt habe, darunter frühere Poli­zisten. Es gibt auch lokale Para­mi­li­tärs, bestehend aus Natio­na­listen, Hardliner-Maze­do­nier, die sich Waffen beschafft haben und sich auf zukünf­tige Kämpfe in ihren Dörfern vorbereiten.

Ist es ange­sichts dessen warschein­lich, daß die Albanier, die bereits ihr Leben für ihre Sache riskiert haben, alle ihre Waffen ablegen und frei­willig die von ihnen besetzten Orte verlassen?

Können ande­rer­seits die west­li­chen Diplo­maten und Medien einen einzigen führenden maze­do­ni­schen Politiker oder Redakteur finden, der persön­lich glaubt, daß die 3.300 Stück alles sind, was die NLA besitzt, und daß sie die besetzten Terri­to­rien verlassen?

Wenn die Antwort auf diese Fragen „Ja” wäre, dann könnte die NATO-Mission eine frie­dens­stif­tende Kraft sein. Jedoch würde dies eine völlig andere frie­dens­stif­tende Anstren­gung bedeuten, etwas in der Artder UNPREDEP der UN kombi­niert mt einer viel kompe­ten­teren OSCE und einer Reihe von nichtregierungs‑, konflikt­lin­dernden und erzie­he­ri­schen Orga­ni­sa­tionen. Dies würde eine „Essential Spring”-Operation sein!

Das würde bedeuten, daß nicht nur die Waffen geerntet, sondern auch die Saat des Friedens gesäht werden muß. Dies ist offen­sicht­lich nicht, was die USA, die NATO und die EU tatsäch­lich vorhaben.

All das obige macht keinen Sinn vom Stand­punkt des Friedens, der Versöh­nung, Koexis­tenz und Demo­kratie. Es ist einfach Unsinn.

© TFF 2001

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